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Bemessung von Hilti Befestigungselementen/Dübeln in Beton unter Ermüdungsbelastung

Veröffentlicht von HILTI Ingenieurberatungvor 20 Tagen

Bemessung von ermüdungsrelevanten Befestigungen nach EOTA TR 061

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Unter Ermüdungsbeanspruchung können sich die maßgeblichen Versagensarten von Befestigungselementen in Abhängigkeit von der Anzahl der Lastzyklen ändern. Der Nachweis des Widerstandes gegen Versagen, der ausreichenden Duktilität und der Gebrauchstauglichkeit eines Befestigungssystems ist zwar grundlegend und allgemein bekannt, hat aber nichts mit dem Nachweis gegen Ermüdungseinwirkung zu tun. Ein Dübel/Befestigungssystem kann alle oben genannten Nachweise erfüllen und dennoch unter Ermüdungsbelastung versagen. Es liegt auf der Hand, dass Bauingenieure bei der Bemessung von Dübeln, bei denen eine Lebensdauer von 50 Jahren (manchmal sogar über 100 Jahre) erwartet wird, eine Ermüdungsanalyse in ihre Bemessungsmethodik einbeziehen sollten. 

Lesedauer ca. 15 min

Anwendungen
Häufig wechselnde Einwirkungen (Ermüdungsbelastungen) können anhand ihrer Häufigkeit und Amplitude unterschieden werden. Wechselbelastungen mit hoher Wiederholung und geringer Amplitude können als Vibrationslasten bezeichnet werden. Vibrationslasten können bei der Befestigung von Ventilatoren, Produktionsmaschinen, Kraftwerksausrüstungen und Rohrbefestigungen mit häufigen Druckstößen auftreten.
Diese Anwendungen werden in der Regel als "ermüdungsrelevant" für das verwendete Befestigungssystem identifiziert und nach Möglichkeit entsprechend bemessen. Weitere typische Beispiele für Anwendungen mit "wiederholtem Be- und Entlasten" sind: Kräne (Turmdrehkräne, Werkstattkräne, Kranschienen), Aufzüge (Führungsschienen, Lastaufnahmemittel), Hebezeuge (Hebezeuge, Befestigungen von Hebeböcken), Roboter und andere rotierende Lastaufnahmemittel, Brückenkomponenten und Verladesysteme (Rutschen für Schüttgut, Förderanlagen).
In der Regel legen jedoch die nationalen und internationalen Normen fest, ob eine wechselnde Einwirkung als statische Einwirkung oder als Ermüdungslast zu betrachten ist. Zum Beispiel ändert eine Windlast häufig ihre Größe und Richtung, wird aber zu Bemessungszwecken oft als statische Last angesehen.

Was ist Ermüdung?
Wird ein Werkstoff einer dauerhaften, zeitlich veränderlichen Belastung ausgesetzt, kann er nach einer bestimmten Anzahl von Lastwechseln versagen, obwohl die Obergrenze der bis zu diesem Zeitpunkt ausgehaltenen Belastung deutlich unter der Zugfestigkeit bei statischer Belastung liegt. Dieser Verlust an Festigkeit wird als Materialermüdung bezeichnet.

Warum ist eine ETA auf der Grundlage der EAD 330250-00-0601 für Befestigungssysteme/Verankerungen unter Ermüdungsbelastung erforderlich?
Dübel übertragen die aufgebrachten Lasten im Beton auf unterschiedliche Weise durch Formschluss, Reibung und Stoffschluss oder durch Kombinationen dieser Mechanismen. Allein diese drei Wirkprinzipien können sich unter einer Ermüdungsbelastung völlig unterschiedlich verhalten. Unabhängig von den Wirkprinzipien versagt das Befestigungselement oder der Untergrund, weil die Tragfähigkeit des Betons, die Tragfähigkeit des Stahls oder die Tragfähigkeit der Verbindung zwischen dem Verankerungselement und dem Mörtel oder dem Mörtel und dem umgebenden Beton überschritten wird. Daher ist es notwendig zu verstehen, wie sich die verschiedenen Wirkprinzipien und Versagensarten unter Ermüdungsbeanspruchung verhalten oder entwickeln, siehe Abbildung 1.

Abbildung 1: Bei Dübeln interagieren verschiedene Materialien, das Tragverhalten ist rein theoretisch schwer zu beurteilen

Aufgrund des unterschiedlichen Ermüdungsverhaltens der begleitenden Werkstoffe (Beton, Stahl und eventuell Mörtel) kann sich die maßgebliche Versagensart für einen ermüdungsbeanspruchten Dübel in Abhängigkeit von der Anzahl der Lastwechsel ändern. Darüber hinaus können die Form und Größe der Verankerungselemente, die Herstellungsverfahren, aber auch die Ankersteifigkeit einen wesentlichen Einfluss auf das Ermüdungsverhalten und das Auftreten der einzelnen Versagensarten haben. Das Ermüdungsverhalten kann daher kaum theoretisch abgeschätzt werden, sondern muss in Europa durch ein europäisches Bewertungsverfahren (EAD 330250-00-0601 "Post-installed fasteners in concrete under fatigue cyclic loading" [1]) ermittelt werden.

Wie können Regeln und Vorschriften bei Ermüdung Orientierung bieten?
Der EOTA Technical Report TR 061 [2] befasst sich mit der Bemessung von Befestigungselementen unter Ermüdungseinwirkung in Kombination mit oder ohne statische oder quasi-statische Belastung. Ermüdungsnachweise sollten dort durchgeführt werden, wo Verbindungselemente regelmäßigen Lastzyklen ausgesetzt sind (z. B. Befestigungen von Kränen, Maschinen, Führungsschienen, Aufzügen usw.). Ermüdungslastwechsel können auch bei Einspannungen von temperaturbeanspruchten Bauteilen (z. B. Fassaden) auftreten. Gemäß EOTA TR 061 ist ein Ermüdungsnachweis in den folgenden Fällen erforderlich:

(a) Wenn mehr als oder gleich 1000 Lastspiele als pulsierende Zugbelastungen auf das Verbindungselement zu erwarten sind

(b) Wenn mehr als oder gleich 100 Lastspiele mit wechselnden oder pulsierenden Querzugbelastungen auf das Verbindungselement zu erwarten sind

(c) Wenn die Lastwechsel durch klimatische Schwankungen verursacht werden und die Spannung, die durch die Zwangskräfte im am geringsten beanspruchten Verbindungselement verursacht wird, größer ist als oder bei Querbelastung die Spannung im am geringsten belasteten Verbindungselement größer als ist.
Die Bemessungsregeln der EOTA TR 061 gelten nur für Befestigungselemente mit einer Europäischen Technischen Bewertung (ETA) mit charakteristischem Widerstand unter zyklischer Ermüdungsbelastung auf der Grundlage der EAD 330250-00-0601.
Im Gegensatz zur EOTA TR061 wird im Eurocode 2 Teil 4 [3] nicht detailliert beschrieben, unter welchen Bedingungen ein Ermüdungsnachweis erforderlich ist. Nach Eurocode 2 Teil 4 [3] sollte ein Ermüdungsnachweis durchgeführt werden, wenn Befestigungselemente häufig wiederholten Belastungszyklen ausgesetzt sind (z. B. Befestigung von Kränen, sich hin- und herbewegenden Maschinen, Führungsschienen von Aufzügen) [3]. Darüber hinaus begrenzt Eurocode 2 Teil 4 [3] die Gültigkeit des Bemessungsnachweises "indirekt" auf 2∙10^6 Lastwechsel (2 Millionen Lastwechsel). Es ist die Meinung der Autoren, dass es in EC2 Teil 4 keinen klaren Ansatz gibt, wie die Bemessung unter einer Kombination aus statischer Einwirkung und Ermüdungseinwirkung durchgeführt werden sollte. Der EOTA TR 061 ist auch in diesem Fall weitaus differenzierter. 

Der EOTA TR061 unterscheidet zwischen zwei Bemessungsmethoden, Bemessungsmethode I (vollständige Methode) und Bemessungsmethode II (vereinfachte Methode)

Die Bemessungsmethode I (vollständige Methode) ist anwendbar, wenn
Bedingung A: Eine genaue Zuordnung der statischen Einwirkung und der ermüdungsrelevanten Einwirkung möglich ist
Bedingung B: Eine obere Grenze der Lastwechselzahl n während der Lebensdauer der Anwendung ist bekannt

Ist nur die Bedingung A erfüllt, bei der zwar der ermüdungsrelevante Lastbereich genau bekannt ist, nicht aber die Anzahl der auftretenden Lastspiele, so wird der Ermüdungswiderstand auf den Wert für eine unendliche Lastspielzahl begrenzt ().
Wenn nur die Bedingung B erfüllt ist, ist ausschließlich die Gesamtbelastung des Dübels bekannt (statisch und Ermüdung), es ist aber nicht möglich zwischen dem prozentualen Anteil der statischen Einwirkung und dem prozentualen Anteil der Ermüdungseinwirkung zu unterscheiden. In diesem Fall wird auf der sicheren Seite liegend angenommen, dass alle einwirkenden Lasten ermüdungsrelevant sind. Dies führt unter Umständen zu sehr konservativen Ergebnissen, im speziellen dann, wenn der Prozentsatz der statischen Belastung im Vergleich zum Prozentsatz der ermüdungsrelevanten Belastung sehr hoch ist, sprich eine vorwiegende rein statische Belastung vorliegt.
Sind beide Bedingungen (a) und (b) erfüllt, liegen genaue Kenntnisse der statisch relevanten und ermüdungsrelevanten Einwirkungsbelastung vor und zusätzlich kann die Lastspielzahl abgeschätzt werden. In einem solchen Fall wird der Ermüdungswiderstand auf den Wert begrenzt, der sich aus der S-N-Kurve unter Berücksichtigung der Lastspielzahl ergibt (), wenn eine vollständige Wöhlerkurve vorliegt. Denn nur ein solches Diagramm erlaubt die Bestimmung des charakteristischen Ermüdungswiderstandes eines Verankerungssystems in Abhängigkeit von der Anzahl der Lastspiele n. Das Ermüdungswiderstandsdiagramm (Wöhlerkurve) des Verankerungsprodukts kann während des Qualifizierungs-/Beurteilungsprozesses auf der Grundlage der EAD 330250-00-0601 eines Verankerungssystems experimentell ermittelt werden.

Das Bemessungsverfahren II, das vereinfachte Verfahren, ist anwendbar, wenn nur die Gesamtbelastung, nicht aber die genaue Zuordnung von statischer Einwirkung und ermüdungsrelevanter Einwirkung möglich ist und die Anzahl der Lastzyklen über die Nutzungsdauer nicht bekannt ist. In einem solchen Fall wird die Ermüdungsfestigkeit des Dübels auf die Dauerfestigkeit begrenzt (), bei der ein Dübel (aufgrund der fehlenden Anzahl von Lastzyklen) keine Schädigung erleidet, und die gesamte Bemessungseinwirkung wird als ermüdungsrelevant angenommen. In der Bemessungsmethode II wird somit immer von einer unendlichen Lastspielzahl ausgegangen und statische und ermüdungsrelevante Einwirkungen superpositioniert.

Hilti Portfolio für ermüdungsrelevante Verbindungselemente
Die folgenden Befestigungssysteme sind nach EAD 330250-00-0601 geprüft und können mit Hilfe von PROFIS Engineering unter Ermüdungseinwirkung bemessen werden. Das Hilti Portfolio für ermüdungsrelevante Anwendungen umfasst chemische Dübel, mechanische Dübel und Hinterschnittdübel mit unterschiedlichen Stahlwerkstoffen und Leistungsklassen:

Abbildung 2: Übersicht über Hilti Dübelsysteme für ermüdungsrelevante Belastungen

ANKERSTANGE HAS-D
ANKERSTANGE HAS-TZ
ANKERSTANGE HIT-Z-D TP
HINTERSCHNITTANKER HDA
SCHWERLASTANKER HSL4-G
ANKERSTANGE HAS-U A4

Das Hilti Verfüllset, ein wichtiger Bestandteil für eine zuverlässige Lastabtragung, nicht nur unter Ermüdungsbelastung
 
Gemäß EOTA TR 061 sind konstruktive Maßnahmen erforderlich, um die Beeinflussung des Tragverhaltens durch unerwartete Verschiebungen z.B. infolge von Lochspiel zu minimieren. Hierfür bietet Hilti das Hilti Verfüllset an, bestehend aus Verfüllscheibe, Kugelscheibe und Kontermutter, siehe Abbildung 3. 

Abbildung 3: Das Hilti Verfüllset erfüllt vier Hauptaufgaben einer zuverlässigen Lastübertragung

Der Name Verfüllset beschreibt jedoch nur ein Viertel der Wahrheit. Das Hilti Verfüllset erfüllt vier Hauptaufgaben in einem Set:
(a) Überbrückung des Lochspiels gemäß EOTA TR 061 und den zugehörigen ETAs über die Verfüllscheibe,
(b) zulässige Kippmöglichkeit, ohne dass durch die Kugelscheibe zusätzliche Biegemomente in den Dübel eingeleitet werden,
(c)  zuverlässige Übertragung der Klemmkräfte, da die Kugelscheibe auch bei schrägem Anker in Kontakt bleibt, und
(d) eine Kontermutter zur Sicherung der Mutter.
 
Der Nutzen für Sie als Planer lässt sich somit wie folgt zusammenfassen:
(a) Übereinstimmende Bemessung des Dübels mit EN 1992-4 bei größerem Ringspalt. Unter statischer Belastung oder nach EN 1992-4 und EOTA TR 061 unter Ermüdungsbelastung,
(b) Verdoppelung des Bemessungswiderstands bei seismischer Querbelastung,
(c)  Kompensation von ungeplanten Biegemomenten, die aufgrund der Dübelneigung auf den Anker wirken und
(d) keine Notwendigkeit einer separaten Überprüfung der Unterlegscheibe, da das Set eine ausreichende Dicke der Unterlegscheibe aufweist, um den Versagensfall des "Durchknöpfens" (Durchziehen der Stahlplatte durch die Unterlegscheibe und die Mutter) zu vermeiden.

Zusammenfassung
Das Ermüdungsverhalten von Werkstoffen wird in der Regel durch eine S-N-Kurve, auch Wöhlerkurve genannt, charakterisiert. Im Falle von Dübeln sind drei Werkstoffe/Versagensarten am gesamten Ermüdungswiderstand beteiligt, weshalb der Widerstand nicht rein theoretisch bewertet werden darf. Daher sollte ein Dübel mit Ermüdungszulassung verwendet werden. Für "Ankerplattenanwendungen" gibt es derzeit nur in Europa ein detailliertes Qualifikations- (EAD 330250-00-0601) und Bemessungsverfahren (EOTA TR 061, EN 1992-4). Im Vergleich zu EOTA TR061 wird in EN 1992-4 nicht im Detail beschrieben, unter welchen Bedingungen ein Ermüdungsnachweis erforderlich ist. In beiden Bemessungsansätzen sind jedoch Ringspalte nicht zulässig und ein Lösen der Mutter oder Schraube muss vermieden werden. Das Hilti Dynamic Verfüllset bietet eine effektive Möglichkeit zum Verfüllen der Ringspalte. Aber auch die bestehenden Normen und Richtlinien weisen noch Lücken auf. So ist unter anderem eine Querbelastung mit Hebelarm – also eine Abstandsmontage noch nicht abgedeckt. Hier bedarf es weiterer Forschung.

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[1] EOTA EUROPEAN ASSESSMENT DOCUMENT 330250-00-0601 - „Post-installed fasteners in concrete under fatigue cyclic loading“
[2] EOTA Technical Report TR 061 - Design method for fasteners in concrete under fatigue cyclic loading; 2020
[3] Eurocode 2 - Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 4: Bemessung der Verankerung von Befestigungen in Beton; Deutsche Fassung EN 1992-4:2018

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